Erschienen im SEIN 12/2014. Zum Orginalartikel...

Meditation, so hatte ich es mit 22 gelernt, war eine Methode bei der es darum ging möglichst aufrecht und still zu sitzen. Für mich als lebens- und bewegungshungriges Wesen, lag die Assoziation von "stillsitzen und keinen Ärger machen" sehr nahe und wurde noch durch das autoritäre Gehabe mancher Meditationslehrer bestärkt. Das hatten mir meine Eltern 20 Jahre lang eingetrichtert, damit wollte ich nichts mehr zu tun haben, davon versuchte ich mich gerade mühevoll zu befreien.  Also war Meditation offenbar nichts für mich. Nachdem ich mich erfolglos in mehreren "Stillsitzübungen" erprobt hatte, tanzte ich viel lieber klassisch oder modern und immer mit viel Ausdruck, glitt im Butoh-Tanz hunderte Male anmutig zum Boden und stand wieder auf, schrie mir bei bioenergetische Übungen die Seele aus dem Leib  und erlebte unglaubliche Transformationen bei einer Schauspielmethode namens Stuhlentspannung. Das alles brachte mich mir selbst wesentlich näher und machte mich friedvoller als dieses anstrengende Stillsitzen, dessen Sinn sich mir in all den Kursen vorher  nicht erschlossen hatte.
 Der Weg der Selbsterfahrung führte mich eines Tages auch zum Zwei-Jahres-Training "Der Weg des Herzens"  in den Westerwald. Am ersten Seminartag wurden wir um sieben geweckt: „Guten Morgen, wir beginnen mit der dynamischen Meditation in 5 Phasen. 1. Phase: Chaotisch ausatmen, 2. Phase: Sich mit Körper und Stimme ausdrücken, 3. Phase: Springen und dabei „Huh“ aus dem Hara heraus tönen, 4. Phase: Stilles Stehen mit erhobenen Armen und Beobachten, 5. Phase: Der Tanz in den Morgen. Die Meditation dauert eine Stunde. Bitte benutzt eine Augenbinde.“
Mein kurzes Resümee nach dieser Vorstellung: chaotisch atmen, hört sich interessant an, macht bestimmt auch Spaß, alles rauslassen dürfen ist immer gut, springen und das Mantra „Huh“ rufen wird bestimmt anstrengend, Stille mit erhobenen Armen, nun, diese Phase hätte man ja gut weglassen können, und tanzen, tanzen tue ich sowieso gerne.
Also, auf geht's, die Trommeln wirbelten chaotisch treibend durch den Raum, ich presste mir noch den letzten Rotz aus meiner Nase - und war mitten in meiner ersten dynamischen Meditation gelandet. Die zweite Phase, Katharsis genannt, fiel mir leicht. Endlich einfach nur  das tun, was ich will. Und niemand durfte das, was ich am meisten fürchtete, sich ein negatives Urteil darüber zu erlauben. Denn ich war ja schließlich in einer Meditation. Machte das Spaß! Ich trat um mich und verausgabte meine Stimme so, dass ich für den Rest des Seminars heiser war. So ging es übrigens vielen. Springen und „Huh“ rufen: Wie ich es geahnt hatte, diese Phase ging an meine physische Existenz. Wenn ich auch schon in den Phasen vorher mir nicht mehr wirklich viele Gedanken gemacht hatte, so raubte mir das Springen noch den letzten Funken Gedanken von „Ich möchte dies“ oder „Ich möchte das“ oder „Es sollte so und so sein". Ich war schon nach einigen Minuten intensiven Springens einfach nur erschöpft.  Aber ich sprang weiter und weiter, bis in diesem fast tranceartigen Zustand auf einmal eine Stimme "STOP" rief. Mit einem Schlag wurde es totenstill im Raum. In mir hämmerte immer noch das „Huh“, und ich spürte mein Blut im Rhythmus dieses Mantras weiter pulsieren, aber ich war wach geworden, hellwach und todmüde gleichzeitig. Eine Weichheit fiel über mich, die war einfach nur angenehm. Zwar wollten meine Ellbogen andauernd  zu Boden wandern, und wurden von den AssistentInnen immer wieder eifrig nach oben geschoben, was ziemlich anstrengend war, aber es störte mich nicht wirklich. Im Raum lag eine so wunderbar köstliche Stille. Ich konnte sie auch hören, diese Stille, ohne aber sagen zu können, was ich da wirklich hörte. Irgendwann setzte die Musik ein, eine mich sanft umspielende sphärisch-rhythmische Musik. Das war jetzt wohl die letzte Phase, der „Tanz in den Morgen“. Ich tanzte wild. Aber wie.
"Die dynamische Meditation ist jetzt beendet. Du kannst dich jetzt duschen und dann frühstücken. Guten Appetit!" Das hörte ich in den folgenden zwei Jahren noch über fünfzig mal. Und ich habe es nachher, in den folgenden Jahren meiner Assistenzzeit, oft selber angesagt. Dann folgte der Gang aus dem Seminarraum, völlig verschwitzt und irgendwie noch nicht auf diesen Planeten zurückgekehrt, zur Dusche. Und jedes Mal, mit der wiederkehrenden Präzision eines Uhrwerkes, hatte ich dasselbe Gefühl: Ich möchte einfach nur die ganze Welt vor Glück umarmen. Es gab dann Menschen, die kamen mit meinem plötzlichen Ausbruch von Freude nicht zurecht, die fanden mein Lachen zu laut, mein Benehmen zu hemmungslos, mein kompromissloses Dasein zu anstrengend. Mir war das egal. Ich war heimgekehrt, ich hatte meine Methode gefunden, ich war zur Liebhaberin der Dynamischen Meditation geworden.
Die dynamische Meditation ist die wohl berühmteste aktive Meditation, die der indische Mystiker Osho kreiert hat, man könnte sagen, sein Klassiker. Eine Weitere, sehr Bekannte ist die Kundalini- oder auch Schüttelmeditation. Die vier Phasen sind hier Schütteln, Tanzen, Sitzen und Liegen. Beide Meditationen haben ihren Siegeszug durch die Welt angetreten und werden mittlerweile in psychosomatischen Kliniken, verschiedensten therapeutischen Ausbildungen  und sogar als Fitnesstraining für Polizisten angeboten. Osho hatte in den siebziger Jahren erkannt, dass der moderne Mensch neue Meditationen braucht. Er scheute sich dabei nicht,  aus dem großen Fundus jahrtausendealter bewährter Meditationstechniken religionsübergreifend das Beste herauszusuchen und neu aufzubereiten. Insbesondere hatte er erkannt, dass der moderne Mensch kaum noch mit seinem Körper verbunden ist, seine vitalen Impulse und seine natürliche Lebendigkeit genauso unterdrückt wie seine tieferen Gefühle. Er ist mit seiner Aufmerksamkeit in den Spiralen seiner Gedanken gefangen, in einem sich unablässig wiederholenden, meist leidvollen Spielfilm, der ihn niemals wirklich in der Gegenwart und in seinem Körper ankommen lässt. Deswegen gibt es in allen aktiven Meditationen Oshos Phasen, in denen der Fokus ganz auf der freigelassenen und manchmal auch recht anstrengenden körperlichen Bewegung und deren bewusster Wahrnehmung liegt. Auch verschiedene Atemtechniken sowie subtile, sehr spezifische Bewegungsaufgaben können Teil einer aktiven Meditation sein. Da gibt es beispielsweise die Nataraj Tanzmeditation, das Whirling, wo man sich nach Sufitradition im Kreis dreht, die alttibetische Nadabrahmameditation, in der man u.a. gemeinsam summt oder das Chakra Breathing. Der Weg führt immer aus der Aktivität in die Stille.  "Körper, Herz, Geist - alle meine Methoden bewegen sich auf demselben Weg. Sie fangen mit dem Körper an, sie gehen durch das Herz, erreichen den Geist - und gehen dann über all das hinaus." schreibt er in seinem orangenen Buch der Meditationen.
Dieses Konzept wendet Osho auch bei seinen mehrtägigen Intensivmeditationen an. Einer dieser meditativen Therapieprozesse ist die 21-tägige Mystic Rose, die ich vom 10. bis zum 21. August 2016 gemeinsam mit Bert Esdohr im Osho-Seminarzentrum Samana im Osterzgebirge anbieten werde. Dort werden wir uns sieben Tage drei Stunden täglich dem Lachen widmen, um intensiv unseren Witz, unseren Humor und unsere Freude zu entdecken. sieben Tage lang werden wir weinen um unserem Schmerz und unserer Traurigkeit Raum zu geben, und schließlich werden wir sieben Tage lang drei Stunden täglich schweigen. Die Kernmeditation wird in ein breites Repertoire verschiedener anderer aktiver Meditationen eingebettet sein, die bestimmte Aspekte dieser Arbeit noch vertiefen sollen. Diesen unglaublich transformatorischen Meditationsprozess hat Osho 1988, ein Jahr vor seinem Tod kreiert. Er ist für mich wie für viele andere Meditierende aus dem Osho-Feld der Höhepunkt seines Schaffens. Mit einer Gruppe von Meditierenden in die Mystic Rose einzutauchen, schafft ein ganz eigenes Energiefeld. Man kann förmlich dabei zusehen, wie die Menschen auftauen, zerschmelzen, mehr und mehr lebendig werden, sich von alten Mustern befreien, und sich in der Gruppe mehr und mehr die Liebe ausbreitet. Osho schreibt über den zweiten Teil und dritten Teil der Mystic Rose: „Die Vorstellung der Mongolen war - und ich stimme ihnen zu – dass sich ein Leben nach dem anderen in dir anhäuft. Sie werden gewissermaßen zu einer harten Schale von Schmerz. Diese Wunden und Narben haben sich über viele Leben hinweg entwickelt. Sie sind nicht Teil des Körpers, sie umschließen das Bewusstsein und sie müssen freigelassen, erlöst werden. Darum sagen alle Heiligen und alle Weisen dir ständig – sie rufen es dir zu – „Geh nach innen!”. Du hörst es, aber du gehst nicht. Es gibt einen Grund, warum du nicht gehst. Du weißt, nach innen zu gehen bedeutet, dem Schmerz zu begegnen; wenn du nach innen gehst, wirst du dem Leiden begegnen, dem Elend, der Agonie. Es ist besser, im Außen zu bleiben, betriebsam, beschäftigt. Sieben Tage lang musst du dir erlauben, zu weinen, ohne jeden Grund zu weinen – die Tränen warten nur darauf, zu fließen. Du hast sie nur zurückgehalten. Halte sie einfach nicht mehr zurück. Der dritte Teil schließlich ist das Beobachten: The Watcher on the Hill. Nach dem Lachen und den Tränen ist da nur noch eine Stille, die beobachtet.“
 

SEIN 12/2014